Mit Herz und Verstand zum Erfolg: Sara Nuru, Model und Unternehmerin

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Vielen mag aufgrund des derzeitigen Weltgeschehens so manches völlig banal erscheinen. Sara Nuru auch. Sie ist mitfühlend und empathisch. Sonst hätte sie ihre Reise für die Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ nach Äthiopien, ins Heimatland ihrer Eltern, nicht so sehr berührt. Die Stiftung wollte sie 2009, noch bevor sie sich den Titel der Casting-Show „Germanys Next Topmodel“ sichern konnte, als Botschafterin gewinnen. Doch Sara Nuru wollte mehr. „Einfach nur mein Gesicht hinzuhalten, das war nicht mein Ding. Ich wollte mir ein Bild vor Ort machen.“ Und so reiste sie im September 2009 mit ihrem Vater und Verantwortlichen der Hilfsorganisation in das kontrastreiche Land im Osten des afrikanischen Kontinents. 

Zwei Welten prallten aufeinander!

Als sie danach direkt weiter zu einer Fashion-Show nach New York flog, den Staub der äthiopischen Steppe noch mit im Koffer, kam ihr dieses Jetset-Leben zum ersten Mal richtig banal vor. Noch mehr, als sie bei einer New Yorker Modelagentur vorstellig wurde und dort die Ansage bekam, ihr Hüftumfang von 94 cm ginge gar nicht. Sie hatte die knochigen Silhouetten vieler Menschen, die sie in Äthiopien gesehen hatte, noch lebhaft vor Augen. Die Begegnungen mit denjenigen, die sich wünschen würden, täglich ein bisschen mehr Nahrung zu sich nehmen zu können – und sie sollte hungern, um einem fraglichen Schönheitsideal zu entsprechen. „Nicht mit mir“, stand für Sara Nuru fest.

Jetset-Leben und wahre Werte

Was folgte, war ein schleichender Prozess. Immer wieder Skepsis, aber doch keine wirkliche Zeit zum Nachdenken, weil ein Termin den nächsten jagte. Fashion-Shows in London, Mailand und Berlin, Co-Moderation bei der Oscar-Verleihung, eine Rolle in Otto Waalkes „Otto’s Eleven“. Ein Leben aus dem Koffer. „Klar fühlte ich mich priviligiert. Ich bin ja von heute auf morgen aus einem einfachen Leben in diese vermeintliche Glamour-Welt hineinkatapultiert worden“. Die Einsamkeit unterwegs wurde immer schlimmer, das dauernde Alleinsein, die Tristesse von Hotelzimmern und am nächsten Tag umgeben zu sein von fremden Menschen, die sie hektisch in Szene setzen wollten. 

Ihre Familie zuhause in München-Neuhausen fehlte Sara Nuru unendlich. Sie ist ein Familienmensch, die Verbindung zu ihrer Mutter, ihrem Vater und den drei Schwestern ist bis heute eng. Zusammenhalt, Gemeinsamkeit, Miteinander, Gleichberechtigung, Herzlichkeit und eine positive Lebenseinstellung: Das war es, was im Hause Nuru zählte. Noch heute beendet Mutter Mulu jedes Telefonat mit „Passt aufeinander auf, seid für einander da“ und damit meint sie den Umgang der vier Töchter untereinander. 

Kehrtwende und Neustart

2013 markierte einen Wendepunkt in Sara Nurus Leben. Sie war erst 24 und schon mitten in einer Sinnkrise. Die gipfelte darin, dass sie in einer TV-Show ein mit Blattgold überzogenes Eis verzehren und das als Nonplusultra verkaufen sollte. „Ich habe mich so geschämt“, erinnert sich die heute 32jährige. Für viele andere war es unverständlich, für sie nur folgerichtig, als sie kurz danach alle Agenturverträge kündigte, sich zurückzog und eine Auszeit nahm. 

Eine Idee, die sie bereits 2012 zusammen mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Sali hatte, nahm Formen an. Das Unternehmen nuruCoffee wurde gegründet. „Die Vielfalt äthiopischen Kaffees spiegelt die Facetten dieses faszinierenden Landes wider“, schwärmt Sara Nuru heute. Je nach Sonneneinfall, Tagestemperatur oder Region gibt es feine Unterschiede im Aroma. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wird in Äthiopien der Kaffee von Kleinbauern geerntet und traditionell in Handarbeit verarbeitet. 

Doch wie viel Arbeit tatsächlich dahintersteckt, wie mit den Kooperativen vor Ort verhandelt wird und vieles mehr mussten die beiden Schwestern erst in einem mühevollen Prozess lernen. Drei Jahre haben Sara und Sali Nuru in die Planung von nuruCoffee investiert. Sie entschieden sich für die Zusammenarbeit mit der „Ferro Kooperative“, für die 4 500 Kleinbauern Kaffeebohnen zu fairen Konditionen liefern.

Mikrokredite für Frauen in Äthiopien

Aber auch das war den Schwestern noch nicht genug. Sie hatten während ihrer Reise so viele berührende Geschichten, so viele Menschen getroffen. Sie wollten etwas zurückgeben. Sie wollten helfen. Sie gründeten den Verein nuruWomen, mit dem sie Mikrokredite an Frauen als Starthilfe für ein Geschäft gewähren. Damit erhalten Frauen eine reele Chance und Perspektive für ein selbstbestimmtes Leben. Ob die Eröffnung eines kleinen Ladens, den Kauf einer Ziege oder den Anbau von Getreide: Rund 400 Frauen haben durch nuruWomen bisher so einen Mikrokredit bekommen, finanziert durch den Erlös von nuruCoffee oder durch einzelne Spenden. 

Glück und Wertschätzung

„Die Selbständigkeit war auch meine beste Entscheidung“, so Sara Nuru. Vom Gewinn des Unternehmens nuruCoffee zahlt sie sich selbst keinen Cent aus. Irgendwann hat sie wieder angefangen zu modeln, aber nur für Labels und Projekte, hinter denen sie hundertprozentig steht. Sie tritt als Botschafterin für fairen Handel und Vortragsrednerin auf. Mit viel Empathie hat sie ihren Weg gefunden – und weiß ihr Glück zu schätzen. „Ohne Germanys Next Topmodel hätte ich all das nie erreicht.“ Dabei hätte sie sich selbst niemals beworben. Es war ihr damaliger Freund, der sie im Herbst 2008 ohne ihr Wissen zum Casting mit Heidi Klum in der Münchner Messe gefahren hat. „Ich bin ihm sehr dankbar dafür“. Doch nicht nur ihm. Sie weiß, dass ihr Leben vollkommen anders verlaufen wäre, wären ihre Eltern Mitte der 1980er Jahre nicht auf abenteuerliche Weise von Äthiopien ins beschauliche Grünbach bei Erding und später nach München-Neuhausen gekommen – und das nur, damit die Töchter irgendwann eine bessere Zukunft haben. Diesen Mut, die Willenskraft und den tiefen Wunsch zur Verwirklichung des Lebenstraums haben die Nurus ihren Töchtern weitergegeben – und die Herzlichkeit, die ihnen ins Gesicht geschrieben steht. Wer genau hinsieht, erkennt das Herz, das sich von der Stirn bis zum Kinn auf Saras Gesicht formt, wenn sie unbekümmert lacht. 

Facts & Fragen:

Sara Nuru, geboren 1989 in Erding, 1999 Umzug nach München-Neuhausen, lebt seit einigen Jahren in Berlin und Zürich.

Welchen Stadtteil magst du am liebsten? 

Neuhausen, weil ich dort aufgewachsen bin und das immer noch mit meinem Zuhause verbinde. Ich mag aber auch das Gärtnerplatz-Viertel. Dort war meine erste eigene Wohnung. Auch Haidhausen habe ich kürzlich neu für mich entdeckt. 

Dein Lieblingslokal in München?

Da gibt’s mehrere! Die „Bar Centrale“ in der Ledererstraße, die „Loretta Bar“ in der Müllerstraße, der „Augustiner Biergarten“ in der Arnulfstraße und das „Spatenhaus“ an der Oper.

Dein Lieblingsort in München?

Der Viktualienmarkt, die Isar und der Rotkreuzplatz.

Dein Lebensmotto:

Mia san mia ☺


INFO: www.nurucoffee.com, www.nuruwomen.org

BUCHTIPP: „Roots. Wie ich meine Wurzeln fand und der Kaffee mein Leben veränderte“ von Sara Nuru, Goldmann-Verlag, 14 € (davon geht 1 € an nuruWomen e.V) 

Fotos: Marcus Witte (Text), Julia Sütterlin (Header)

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